Was bedeutet Beteiligung in deinem Arbeitszusammenhang, inwiefern haben Konflikte darin einen Platz?
Ich habe Anfang der 2010er Jahre angefangen dialogische, informelle Beteiligungsprozesse v.a. rund um die Errichtung von Windparks zu konzipieren und zu moderieren. Damals hat mich gestört, dass von Seiten der Politik öfter Erwartungen kamen wie „Sie halten uns hier die Konflikte vom Leib“ oder „Sie sorgen dafür, dass es hier ruhig bleibt“. Neben dieser Haltung, in der es mehr darum ging Akzeptanz zu schaffen als bestehende Konflikte anzuerkennen, war auch häufig der Gestaltungspielraum enorm klein. Das ‚Ob‘ war bereits entschieden, im Beteiligungsprozess war dann nur noch Raum für ein paar Fragen des ‚Wie‘. Keine guten Voraussetzungen für ein ehrliche, faire Konfliktaushandlung. Mein Kollege und ich haben damals unsere Erfahrungen unter dem Titel „Beteiligung ist kein Instrument der Akzeptanzbeschaffung!“ zusammengefasst.
Diese Erfahrungen waren für mich ein entscheidender Anstoß in die Kommunale Konfliktberatung einzusteigen. Bei diesem systemischen Ansatz liegt der Fokus explizit auf der Bearbeitung von Konflikten. Zu Beginn eines Beratungsprozesses steht die Analyse der lokalen Gemengelage hinter den wahrgenommenen Spannungen und sichtbaren Konfliktsymptomen. Auf Basis dessen beraten wir Akteur:innen vor Ort dabei passende Interventionen der Konfliktbearbeitung zu entwickeln. Beteiligungsprozesse können dabei ein geeignetes Instrument sein, sind sie aber nicht automatisch.
Was aus meiner Sicht die meisten informellen Beteiligungsverfahren, egal ob Zukunftswerkstatt, Bürgerrat, leisten können, ist es Fähigkeiten der Konfliktaustragung zu stärken: z.B. Zuhören, andere Sichtweisen hören oder die Komplexität von Fragen anerkennen. Insofern sehe ich Beteiligungsprozesse grundsätzlich als wertvoll für die Stärkung einer kollektiven Kultur der konstruktiven Konfliktaustragung. Beteiligungsprozesse sind jedoch nicht per se geeignet Konflikte auszuhandeln. Um dies zu können müssen einige Grundvoraussetzungen erfüllen: So bedarf es einer konfliktsensiblen Planung des Verfahrens, dass die Konfliktdynamiken und die Konfliktgeschichte mit in den Blick nimmt. Bei der Aufsetzung des Auftrages, bei der Auswahl der zu Beteiligenden und bei der Wahl des Prozessdesigns. Während der Sitzungsphase bedarf es einer konfliktsensiblen Moderation mit allparteilicher Haltung. Der Transfer der Ergebnisse in die politischen Entscheidungsprozesse muss als eigene Phase betrachtet und ebenfalls gut begleitet werden.
Wenn es also ein konfliktives Thema mit kontroversen Interessen in einer Kommune gibt, gilt es zunächst zu analysieren, welcher Gestaltungsspielraum und welcher Eskalationsgrad besteht, um darauf aufbauend entscheiden zu können, welches Verfahren passend ist. Konfliktsensible Beteiligungsverfahren, bis hin zu expliziten Mediationsverfahren können dann wertvolle Interventionen sein. Wie immer gilt, erst das Ziel klar haben, dann die Methode zu wählen.
Hast du ein (anonymisiertes/ verallgemeinerbares) Beispiel für einen (nicht) gelungenen Umgang mit Konflikten? Woran ist der Prozess gescheitert?
In den letzten beiden Jahren habe ich den Ansatz der „Kommunalen Entwicklungsbeiräte“ in fünf Kommunen pilotiert. Die Grundidee ist ein Multiakteursgremium mit Vertretungen aus Politik/Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die gemeinsam über vier Sitzungen eine wichtige Zukunftsfrage der Kommune gemeinwohlorientiert aushandeln und dazu Empfehlungen an den gewählten Stadt- und Gemeinderat übergeben. Da es sich meist um komplexe Zukunftsfragen handelt, die Zielkonflikte zwischen verschiedenen Interessen beinhalten, und gleichzeitig konsensorientierte Entscheidungen angestrebt werden, ist das Format darauf angelegt mit aufkommenden Konflikten umzugehen. In diesem Modellprojekt gab es zwei Beispiele, die Chance und Scheitern im Umgang mit Konflikten deutlich machen können.
Bereits aus der Bewerbung einer Verbandsgemeinde in Sachsen-Anhalt auf das Modellprojekt der Kommunalen Entwicklungsbeiräte wurde deutlich, dass ein Teil des Verbandsgemeinderates in Bezug auf Bürger*innenbeteiligung eine skeptische Position vertrat. Der Bürgermeister wollte dennoch versuchen, diesen neuen Beteiligungsansatz zu erproben und dabei den Argumenten einzelner Verbandsgemeinderatsmitglieder entgegenkommen. Der Beirat soll den Verbandsgemeinderat nicht entmachten, sondern entlasten und unterstützen. In der Planungsphase konnten durch Vorgespräche einige Mitglieder des Verbandsgemeinderates vom Mehrwert des Gremiums überzeugt werden. Jedoch lehnte eine Mehrheit dessen Beauftragung in der Verbandsgemeinderatssitzung ab. Dies war für alle Befürworter:innen sehr bedauerlich, zugleich war diese Klarheit zu Beginn enorm wichtig. Ein aufwendig durchgeführtes Beteiligungsverfahren wie der Kommunale Entwicklungsbeirat, dessen Ergebnisse voraussichtlich keinerlei Berücksichtigung in politischen Entscheidungsprozessen finden, wirkt potentiell Konfliktverschärfend. Daher wurde der Prozess an dieser Stelle abgebrochen und keine Kommunaler Entwicklungsbeirat durchgeführt.
Ein anderes Beispiel ist der Kommunale Entwicklungsbeirat einer sächsischen Kleinstadt. Dieser beschäftigte sich mit der Errichtung eines Eisenbahnprüfzentrums in der Region. Eine besondere Herausforderung war es, dieses kontroverse Thema besprechbar zu machen, obwohl noch keine belastbaren Planungen für das Vorhaben existierten. Der Kommunale Entwicklungsbeirat konzentrierte sich zunächst auf die übergeordneten Ziele und fragte sich „Wie stellen sich die Beirät*innen die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt in den nächsten zehn Jahren vor?“. Auf Grundlage einer gemeinsamen Analyse des Status quo entwickelte der Beirat Leitlinien für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Anhand dieser Leitlinien wurde eine gemeinwohlorientierte Bewertung abgebeben, welche Chancen und Risiken das Infrastrukturprojekt für die Stadt darstellt. Der Beirat leitete zehn Bedingungen ab, die gegeben sein müssten, sollte dieses Vorhaben in die Planung gehen. Anfang März hat der Stadtrat mit 11 Ja-Stimmen und keinen Gegen-Stimmen (die AfD hat sich enthalten) einen Beschluss zu den Empfehlungen gefasst.
Aus deinen Erfahrungen im Umgang mit Beteiligung: Welche Rolle haben Emotionen dabei gespielt?
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen bei Emotionen in Beteiligungsprozessen sofort Wut und Aggression im Kopf haben. Diese sind mir vor allem aus großen Bürger:innenversammlungen in Beteiligungsverfahren zu Windkraft sehr vertraut. Seitdem finde ich diese Formate sehr kritisch. Dort schaukeln sich Emotionen eher hoch, ohne dass sie wirklich aufgenommen werden können. Dann haben sich Menschen vielleicht kurzzeitig Luft verschafft, aber bekommen nicht den Raum, dass wirklich ihre Anliegen und Interessen gehört werden. Von Planer:innen oder Verwaltungsmitarbeitenden habe ich oft gehört „Das muss man aushalten!“ Aus meiner Sicht führt das nur tiefer in den erlebten Mangel und verhärtet Fronten.
Grundsätzlich sind Emotionen für mich elementare Bestandteile der Konflikttransformation, weil sie zu den Bedürfnissen führen und Verbindungen schaffen. Emotionen sollten daher einen wichtigen Raum in Beteiligungsverfahren einnehmen. Ich halte es für fatal, wenn diese ‚wegmoderiert‘ werden im Sinne eines „Jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder“. Aber um die transformative Kraft von Emotionen zu entfalten, braucht es einen vertraulichen, wertschätzenden Rahmen, in dem Menschen empathisch mit ihren Gefühlen gesehen und gleichzeitig in die Verantwortung genommen werden.
Mir als Prozessbegleitung und Konfliktberaterin geben verbal oder non-verbal geäußerte Gefühle wichtige Hinweise darauf, um was es eigentlich geht. Ganz nach dem Grundsatz von Marshall B. Rosenberg, dem Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, „Die Gefühle sind die Kinder der Bedürfnisse“. In der Begleitung spiegle ich diese Gefühle, verknüpfe diese aber direkt mit den von mir antizipierten Bedürfnissen, um die Verantwortung für das Gefühl bei der Person zu belassen. So können Gefühle anerkannt werden und laufen gleichzeitig nicht Gefahr den Prozess zu dominieren.
Ich möchte jedoch gerne den Fokus auch auf andere Emotionen als Wut, Frust und Ärger lenken. Beteiligungs- sowie Konfliktberatungsprozesse leben auch von vielen weiteren Emotionen wie Freude, Trauer, Berührtheit, Inspiration, Zufriedenheit, Zuversicht, Lebendigkeit, etc. In dem Beteiligungsprozess in der eben beschriebenen Stadt in Sachsen gab es in der ersten Sitzung einen Vortrag zur wirtschaftlichen Situation der Kommune. Der Referent fokussierte dabei sehr auf die Ressourcen der Stadt, obwohl diese sich seit Jahrzehnten an vielen Stellen in einem wirtschaftlichen Abwärtstrend befindet. Danach meldete sich eine Frau und sagte „Sie mögen unsere Stadt, oder?“. Der Referent war ob der Frage erstmal etwas perplex. Sie legte daraufhin nochmal nach: „Seit Jahren kommen hier nur alte Männer her, die uns erzählen, was wir alles falsch gemacht haben!“. Für mich als Prozessbegleitung ein zentraler Moment, den es zu verstärken galt, auch weil ich annahm, dass diese Berührung und der dahinterliegende Schmerz gerade nicht nur bei der einen Person, sondern bei mehreren im Raum da ist. Daher spiegelte ich: „Sie sind gerade berührt, weil es für sie wichtig ist, auf die positiven Seiten ihrer Stadt zu schauen und sie gerne möchten, dass mehr die Potentiale gesehen werden!“ Die Person bestätigt mir diese Sichtweise und viele im Raum nicken. Auch das verstärke ich „Ich sehe viele von Ihnen teilen das!“. Solche Momente können das Gemeinschaftsgefühl stärken, Vertrauen untereinander aufbauen und den Boden bereiten für die Aushandlungen kontroverser Sichtweisen.
Dominique Pannke ist seit 2017 Kommunale Konfliktberaterin (K3B – Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung des VFB Salzwedel e.V. und forumZFD) sowie Prozessbegleiterin für Beteiligungsprozesse. In den letzten beiden Jahren hat sie den Beteiligungsansatz der „Kommunalen Entwicklungsbeiräte“ für die Berlin Governance Platform konzipiert.