Von Robert Montau

Stören Nachbarn, so ruft das oft einen be­son­deren Zorn wach. Ein Beispiel: Einmal über­gab mir ein fast achtzigjähriger Pensionär ein fünfundzwanzigseitiges Be­schwerde­schrei­ben, das sich gegen den Nachbarn richtete – nach seinen Worten ein „ara­bischer Hengst“. Dessen Sex mit der „blonden, deut­schen Freundin“ gab der Beschwer­de­füh­­­rer lautmalerisch wieder, so auch den sich stei­­gern­den Rhyth­mus des gegen die Wand schla­gen­den Bettpfostens. Dabei schlug er mit geballter Faust gegen die Wand. Mit kal­ter Wut forderte er vom Vermieter die so­for­tige frist­lose Kündigung dieses Nachbarn. Für diesen Mann sind Nachbarn Stör­fak­toren. Nach­bar­schaft ist das Be­fol­gen von Regeln. Der so­zia­le Raum wird nicht ge­staltet, son­dern über­wacht. Er trägt die Maske des Normalen und sortiert dahinter mit buch­halte­rischer Genauigkeit Bruchstücke des gelebten Lebens seiner Nach­­barn, be­misst den Grad der Verfehlung und erfreut sich angewidert daran.
Als Sozialpsychologe vermittelte ich zwölf Jahre zwi­schen strei­ten­­den Be­­­­­woh­­nerinnen und Bewohnern von Mietshäusern. Mit sechzehn Fällen aus mei­ner Pra­xis untersuche ich, was den Streit zwischen Nachbarn prägt und was da strittig ist. Das Buch, woraus der kurze Einblick stammt, wird im Herbst 2023 im Psychosozial-Verlag unter dem Titel Nachbarn – in Streit verstrickt. Eine sozialpsychologische Erkundung erscheinen.