von Jörg Hüttermann und Johannes Ebner (Institut für Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld)
In den Sozialwissenschaften findet sich eine wachsende Vielfalt an Studien über lokale Räume. Sie erfüllen zumeist den inter- und transdisziplinären Bedarf, unbekannte soziale Erkenntnisgegenstände auszuleuchten. Viele dieser Studien verlieren sich jedoch an die Besonderheit ihres Gegenstandes und finden in allgemeinen sozialtheoretischen Debatten kaum Resonanz. Das liegt u. a. daran, dass Forschende allzu oft den Stand der multidisziplinären Debatten über das Lokalräumliche weder kennen, noch reflektieren und infolge immer wieder längst Bekanntes als Neuentdeckung präsentieren. Nicht zuletzt aus diesem Grund finden Lokalforschungen nicht immer die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Auf unserer Travelling Conference in Duisburg haben wir uns für einen anderen Weg entschieden. Grund dafür ist einerseits, dass wir mit unserer Fragestellung und den empirischen Fallstudien an aktuelle inter- und transdisziplinäre Debatten anschließen wollen – u. a. an die Debatten über den „Emotional Turn“ oder den „Spatial Turn“. Andererseits wollen wir mit entsprechend explorativ gestalteten Fallstudien aber ebenso anschlussfähige Ergebnisse für diese sozialtheoretischen Debatten produzieren. Um diesem Ziel näherzukommen, haben wir beschlossen, nicht einfach nur die üblichen Fallstudien anzufertigen, sondern darauf fußende komparative Querschnittsanalysen zu erstellen, die über das jeweils Besondere des Einzelfalls hinausgehen. Hierfür setzen wir jeweils zwei oder mehrere unserer empirischen Fallstudien unter dem Gesichtspunkt gemeinsam entwickelter und theoretisch abgeleiteter Fragestellungen in Bezug. Dazu gehört u.a. die Frage nach Funktion und Stellenwert lokaler Persönlichkeiten in einer Stadtgesellschaft (bzw. im lokalen Dreieck von Konflikt, Raum und Emotion), die Frage nach dem Zusammenhang von Anerkennungskämpfen und beobachteten Konfliktprozessen oder auch die Frage, wie Mikro- und Makrostrukturen bzw. -ereignisse in lokalen Konflikten in Beziehung stehen.
Im weiteren Verlauf unserer transdisziplinären Vergleichsanalysen wird es darum gehen, durch die Entwicklung neuer Konzepte und Ansätze sowohl den wissenschaftlichen als auch den praktischen Umgang mit Herausforderungen der Gegenwartsgesellschaft zu unterstützen, damit Wissenschaft und Praxis ihrerseits mit den sich wandelnden Wechselwirkungen zwischen Konflikt, Raum und Emotion Schritt halten können. Schon jetzt haben wir im Rahmen von LoKoNet einige empirisch angeregte konflikttheoretische Publikationen (vgl. Hüttermann/Ebner 2023, Tepeli/Straub 2023) auf den Weg gebracht, die sich mit neuen, z. T. schon intern entwickelten und erprobten Verfahren der Erklärung und der Bearbeitung raum- und emotionsbezogener Konflikte befassen. Sie zeigen neue Wege des Erklärens und des Bearbeitens von Konflikt- und Radikalisierungsdynamiken unserer Gegenwartsgesellschaft auf. Des Weiteren wollen wir auch auf dem Gebiet der praktisch-politischen Intervention einen neuen Weg gehen, mit der Entwicklung einer transdisziplinären Wanderausstellung. Dazu wird zunächst aus Lokalpolitiker:innen, Bildenden Künstler:innen und Stadtforschenden (letztere aus dem LokoNet-Projektverbund) ein Arbeitskreis gebildet. Dieser entwickelt jene Wanderausstellung, zunächst unter dem Arbeitstitel: „Verschwörung zum Guten in Kunst, Lokalpolitik und Soziologie“, worin in ineinandergreifenden ästhetischen, wissenschaftlichen und biographischen Beiträgen Gewaltandrohungen gegen lokale Akteure als fundamentale gesellschaftliche Bedrohungen thematisiert werden. Mit einer solchen transdisziplinären Wanderausstellung streben wir an, eine neue Form der Intervention in die aktuell zu beobachtende gewaltförmige Desintegration des demokratischen Gemeinwesens in Stellung zu bringen, – eine Interventionsform, die etwas Anderes und vielleicht auch etwas „Größeres“ bewirken kann, als die Summe des Engagements der zumeist nebeneinander agierenden Akteure aus Kunst, Wissenschaft und Politik auf diesem Feld zu bewirken vermochte.